Was sich geändert hat
Vor gut drei Jahren haben wir die Entscheidung getroffen, das Experiment autofrei außerhalb der Stadt mit Kindern anzugehen. Wobei wir wirklich nicht zu den Hardlinern gehören, längere Strecken fahren wir mit dem Auto und wir fahren auch mit dem Wohnmobil in den Urlaub.
Das Experiment lief gut, nur in Schlechtwetterphasen und manchmal im Winter vermisste ich ein Auto. Mittlerweile denke ich fast nie daran, wie bequem ein trockener, klimatisierter fahrbarer Untersatz wäre, in dem ich kaum einen Finger rühren müsste um vorwärts zu kommen. Stattdessen fallen mir die ganzen Nachteile stärker auf, die Autofahren mit sich bringt, beispielsweise Staus, Parkplatzsuche, Benzin, Versicherung, und so weiter, ganz zu schweigen von den Folgen für Umwelt und Gesundheit.
Wenn ich Auto fahre passiert es häufiger, dass mein Arm zuckt wenn ich abbiegen will, weil ich während der Fahrt Handzeichen geben möchte statt den Blinker zu setzen oder dass ich mit soviel Abstand an parkenden Autos vorbeifahre, dass aufgehende Türen mich nicht treffen. Und auch meine Einstellung hat sich sehr geändert.
Anfangs war es wirklich ein Experiment, wir haben häufig darüber gesprochen was alles geht und ich war stolz, wenn der Alltag auch mit Baby und Kleinkind gut zu schaffen war. Ich hatte öfters das Gefühl, ich müsste unsere Lebensweise verteidigen. In den letzten Monaten ist mir bewusst geworden, dass ich häufiger irritiert bin, wenn andere ganz selbstverständlich davon ausgehen, irgendwo mit dem Auto hinzufahren oder dass jeder ein Auto besitzt und fahren kann. Für mich ist der Alltag ohne Auto Normalität, und viele Leute die ich kenne sind auch oft mit dem Rad oder dem Bus unterwegs oder gehen zu Fuß. Wir haben Freunde, Bekannte und Familie, die mit Lastenrädern unterwegs sind und zum Teil auch kein eigenes Auto mehr besitzen. Wir bewegen uns in einer Blase der muskelgestützten Fortbewegung und manchmal vergesse ich, wie es außerhalb aussieht. Von außen muss der Blick in die Blase hinein noch exotischer wirken.
Da ich schon viel mit Bus, Bahn und Rad unterwegs war, bevor wir „auf’s Land“ gezogen sind, musste ich mich da wenig umstellen. Nur dass jede Fahrt kostet ohne das Studi Ticket, das nervt etwas. Trotzdem, im Vergleich zu Spritkosten ist es wenig. Die Generationen unserer Eltern und Großeltern finden es am Merkwürdigsten. Zum 90sten Geburtstag meiner einer Oma sind wir mit der Bahn nach Frankfurt gefahren. Zum Bahnhof ging es mit dem Rad, von da an mit Regionalbahn, S-Bahn und U-Bahn weiter. Insgesamt eine gute Stunde Weg, etwa doppelt so lang wie mit dem Auto. Außerdem hat es geregnet. Wir fanden es trotzdem nicht unangenehm oder umständlich, immerhin mussten wir nicht lange an Bahnhöfen rumstehen sondern hatten ganz gute Anschlusszeiten. Die Kinder haben sich gefreut, weil sie selten Bahn fahren und noch seltener U-Bahn. Am erstaunlichsten war die Reaktion meiner Oma, die zeitlebens keinen Führerschein hatte und viele ihrer Wege mit den öffentlichen zurückgelegt hat.
Ein weiterer Punkt ist, dass ich mir viel mehr Gedanken darüber mache, wie ich mich im Straßenverkehr verhalte und was sich in der Verkehrspolitik ändern sollte oder könnte. Leider gehen diese Änderungen wie so vieles nur in winzigen Schritten voran. Ist in zehn Jahren die Akzeptanz von Auto- und Radfahrern untereinander größer geworden? Werden dann vielleicht alle Verkehrsteilnehmer gleichwertig betrachtet und werden sichere und durchdachte Radwege in die Verkehrsplanung mit einbezogen? Wird es mehr und bessere Busverbindungen auch außerhalb der Städte geben? Was machen wir, wenn die Kinder zu groß für das Lastenrad geworden sind? Es bleibt spannend.
Nach drei Jahren können wir wirklich sagen: für uns funktioniert es. Wir haben im Alltag so gut wie keine Einschränkungen. Wir müssen nicht extra drei- oder viermal die Woche zum Sport fahren, weil wir uns jeden Tag bewegen. Falls wir irgendwann feststellen, dass es nicht mehr funktioniert, haben wir jederzeit die Option ein Auto zu kaufen. Unsere Parkplätze stehen ja leer…